Die
Zeit

Die Zeit steht still

Die Zeit steht still. Wir sind es, die vergehen.
Und doch, wenn wir im Zug vorüberwehen, scheint Haus und Feld und Herden, die da grasen, wie ein Phantom an uns vorbeizurasen. Da winkt uns wer und schwindet wie im Traum, mit Haus und Feld, Laternenpfahl und Baum.

So weht wohl auch die Landschaft unsres Lebens an uns vorbei zu einem andern Stern und ist im Nahekommen uns schon fern. Sie anzuhalten suchen wir vergebens und wissen wohl, dies alles ist nur Trug.

Die Landschaft bleibt, indessen unser Zug zurücklegt die ihm zugemessnen Meilen.

Die Zeit steht still.
Wir sind es, die enteilen.

Mascha Kaléko

Sozusagen
grundlos vergnügt

Sozusagen grundlos vergnügt

Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen
Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit, Wenn Heckenrosen und Holunder blühen. - Dass Amseln flöten und dass Immen summen,
Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen.
Dass rote Luftballons ins Blaue steigen. Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen.

Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht
Und dass die Sonne täglich neu aufgeht. Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehen!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn. Ich freue mich vor allem, dass ich bin.

In mir ist alles aufgeräumt und heiter: Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt. An solchem Tag erklettert man die Leiter, Die von der Erde in den Himmel führt. Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
- Weil er sich selber liebt - den Nächsten lieben.
Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne
Und an das Wunder niemals ganz gewöhne. Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu! Ich freue mich, dass ich ... Dass ich mich freu.

Mascha Kaléko

Memento

Memento

Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang, Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind. Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang Und lass mich willig in das Dunkel treiben. Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiss es wohl, dem gleiches widerfuhr; – Und die es trugen, mögen mir vergeben. Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muss man leben.

Mascha Kalékot