Der Besuch bei meinen Grosseltern war etwas Besonderes. Das winzige Gästezimmer war immer für mich reserviert. Die Wände hingen voller Bilder, die Opa, der Vater meiner Mutter, gemalt hatte. Er war Freizeitmaler und malte Landschaften. In ihnen ging ich spazieren, nachts in meinen Träumen.
Wenn die Sonne schien, stellte Opa im grossen Garten des Hauses, zwei kleine Tore auf, lud Nachbarjungs ein und dann spielten wir Fussball. Es war kaum etwas verboten. Oma schimpfte nicht einmal, wenn uns der Ball unversehens in ihr geliebtes Rosenbeet rollte. Nur unter dem grossen Apfelbaum, den Opa gepflanzt hatte, als er mit Oma in dieses Haus einzog, durfte ich mich nicht aufhalten.
Manchmal sass Oma auf einem Gartenstuhl unter diesem Baum und lass oder rupfte Unkraut, das sich zwischen die Gänseblümchen drängte, die dort dicht nebeneinanderstanden und wie ein weisses Kissen mit gelben Punkten aussah. Oma war eine kleine, mollige Frau und immer fröhlich. Nur wenn sie unter dem Apfelbaum sass, war sie sehr still und traurig. Noch in späteren Jahren, als ich schon eine eigene Familie hatte und während eines Besuches bei Oma den Garten betrat, sah ich das Gänseblümchenkissen zu mir herüberleuchten. Mit diesem Ort hatte es etwas Besonderes auf sich. Ich wagte aber nicht, Oma nach dem Rätsel dieses Gartenplatzes zu fragen.
Einmal stand ich in Gedanken versunken in diesem Garten, schaute auf die Gänseblümchen, da trat Oma neben mich und begann zu erzählen. Von der Zeit, in der sie, Opa und meine Mutter in diesem Haus lebten. Sie erzählte von dem Hundemischling, mit dem langen zottigen Fell, den grossen herunterhängenden Ohren und dem wachen Blick. Opa übernahm ihn von einem Arbeitskollegen, der in eine Wohnung mit Hundeverbot umzog. Schnell hatte dieser quirlige Zottel die Herzen der kleinen Familie erobert, aber es war Oma, die sich um ihn kümmerte.
Sie striegelte jeden Tag sein schwer zu pflegendes Fell, sie stand am Morgen früh auf, um ihn nach draussen zu führen, sie fütterte ihn, sie erzog ihn. Bald hörte er nur noch auf ihre Stimme. Und sie erzählte von der Nacht, in der das Feuer im Haus ausbrach, ein paar Wochen nachdem ich geboren und meine Mutter zu meinem Vater in ein anderes Dorf gezogen war. Opa und Oma schliefen fest und merkten nicht das Feuer, das im Wohnzimmer ausgebrochen war und nicht den Qualm, der durch den Spalt der Wohnzimmertür in das Schlafzimmer drang. Erst das aufgeregte Bellen des Hundes und sein lautes Scharren liessen sie erwachen. Schnell erkannte Oma die gefährliche Situation, lief zur Schlafzimmertür, öffnete sie, um nachzusehen woher der Qualm kam. Flammen sprangen ihr heiss entgegen, ein Entrinnen gab es nicht mehr. Opa war inzwischen zum Fenster gelaufen, schrie um Hilfe. Nachbarn alarmierten die Feuerwehr.
Die Grosseltern konnten noch gerettet werden, dann sah man das Feuer aus allen Fenstern im oberen Stockwerk des Hauses lodern. Oma versuchte vergeblich, die Feuerwehrleute zu überreden, nochmals auf der Leiter nach oben zu steigen. Zu gefährlich, sagten sie. Eine Weile noch hörte man das Winseln des Hundes, dann wurde es still. Er starb in den Flammen, sein Name war Gänseblümchen.
© Manuela Bacalja, Ravensburg